TT-Bericht: Strafregister führte Italienerin hinter Gitter - Verfahrenseinstellung

Die Tiroler Tageszeitung berichtete am 07.04.2025 über einen aktuellen Fall, bei dem wir eine grenzüberschreitende Verteidigung durchführen mussten und nach erfolgter Auslieferung (europäischer Haftbefehl) die Freilassung gelang.

 

(Bildnachweis: ChatGPT)

Gegenstand des Verfahrens war der Verdacht einer Serie professionell begangener Schmuckdiebstähle bei Juwelieren in Tirol mit einem Gesamtschaden von über 100.000 Euro. Beschuldigt wurde eine 57-jährige italienische Staatsangehörige, die in der Vergangenheit bereits mehrfach – auch in Österreich – wegen gleichgelagerter Delikte verurteilt worden war. Gerade diese Vorgeschichte machte das Verfahren aus verteidigerischer Sicht besonders anspruchsvoll.

 

Am 18. September 2024 wurde die Beschuldigte in ihrer italienischen Heimatstadt auf Grundlage eines europäischen Haftbefehls festgenommen. Der Haftbefehl war von der Staatsanwaltschaft Innsbruck beantragt worden, nachdem das Landeskriminalamt Tirol die Frau aufgrund früherer Verurteilungen, eines ähnlichen Tatmusters und eines technischen Gesichtserkennungsabgleichs als Hauptverdächtige identifiziert hatte. In weiterer Folge wurde die Frau zunächst in das italienische Frauengefängnis Rebibbia eingeliefert und Ende Oktober nach Österreich in Untersuchungshaft überstellt.

 

Die Ermittlungsbehörden stützten den Tatverdacht im Wesentlichen auf drei Elemente:

  • die einschlägige Vorstrafenlage der Beschuldigten,
  • ein ähnliches Modus operandi bei mehreren Juwelierdiebstählen (Auftreten zu zweit, Ablenkung durch Tasche auf der Vitrine),
  • sowie einen Gesichtsfeldabgleich, der eine Übereinstimmung von rund 66,4 % mit vorhandenen Lichtbildern ergab.

Aus Sicht der Strafverfolgungsbehörde reichte dies aus, um einen dringenden Tatverdacht anzunehmen und Untersuchungshaft anzuordnen.

 

Nach Kontaktaufnahme durch die Familie der Beschuldigten übernahmen wir die Verteidigung. Von Beginn an stand nicht die Vergangenheit der Mandantin, sondern ausschließlich die Frage ihrer tatsächlichen Beteiligung an den konkret vorgeworfenen Taten im Mittelpunkt. Die Mandantin hatte durchgehend bestritten, sich im relevanten Tatzeitraum – September 2023 bis Juni 2024 – überhaupt in Österreich aufgehalten zu haben. Die Verteidigung setzte daher auf eine konsequente, belegbasierte Darstellung der Beschuldigtenposition:

  • Es wurde aufgezeigt, dass das Mobiltelefon der Mandantin zu Tatzeitpunkten in Italien eingeloggt war.
  • Darüber hinaus konnten medizinische Unterlagen italienischer Krankenhäuser vorgelegt werden, aus denen hervorging, dass sich die Mandantin während des Tatzeitraums – unter anderem für eine Mammografieuntersuchung – in ärztlicher Behandlung in Italien befand.
  • Ergänzend wurde die familiäre und soziale Einbindung der Frau an ihrem Wohnort dokumentiert.

Das Landesgericht (Haft- und Rechtsschutzrichter) bewertete diese Belege zunächst zurückhaltend und erachtete sie nicht als ausreichend, um den Tatverdacht zu entkräften. Begründet wurde dies unter anderem damit, dass bei professionellen Täterinnen das Zurücklassen eines Mobiltelefons oder die gezielte Irreführung durch Unterlagen nicht ausgeschlossen werden könne.

 


Gegen diese Entscheidung erhob die Verteidigung Beschwerde an das Oberlandesgericht Innsbruck. Zentraler Punkt war die klare Trennung zwischen einem bloßen Anfangsverdacht und dem für eine Untersuchungshaft zwingend erforderlichen dringenden Tatverdacht. Wir arbeiteten in der Beschwerde heraus, dass

  • Vorstrafen und Tatmuster keine Identität ersetzen,
  • der Modus operandi zwar Ähnlichkeiten aufwies, sich im Detail jedoch relevant unterschied,
  • technische Gesichtserkennungsverfahren mit einer Trefferquote von lediglich rund 66 % keine eindeutige Identifizierung erlauben,
  • und objektive Alibiindizien nicht pauschal mit dem Hinweis auf theoretische Manipulationsmöglichkeiten entwertet werden dürfen.
  • Zusätzlich wurde argumentiert, dass keine Fluchtgefahr vorliege, da die Mandantin über einen stabilen Wohnsitz, Familie und soziale Anknüpfungspunkte in Italien verfüge.


Das Oberlandesgericht Innsbruck folgte der Argumentation der Verteidigung. In seiner Entscheidung stellte es unter anderem klar, dass medizinische Bestätigungen – insbesondere über konkrete Untersuchungen – sehr wohl als Indiz für eine Anwesenheit im Ausland zu werten sind, und insgesamt kein dringender Tatverdacht vorliegt, der die Fortsetzung der Untersuchungshaft rechtfertigen würde. Die 57-jährige Mandantin wurde daraufhin aus der Untersuchungshaft entlassen und konnte noch am selben Tag von der Familie in Innsbruck abgeholt werden.

 


Der Fall zeigt exemplarisch, wie rasch sich ein Verdacht – insbesondere bei einschlägig vorbestraften Personen – zu einem internationalen Haftverfahren entwickeln kann. Zugleich verdeutlicht er, dass selbst in solchen Konstellationen rechtsstaatliche Mindeststandards strikt einzuhalten sind. Entscheidend war hier die konsequente Verteidigung und die Zusammenarbeit mit den Familienangehörigen: Alibis, Dokumente, technische Beweise und eine präzise Analyse der Beweisqualität führten letztlich dazu, dass ein dringender Tatverdacht nicht aufrechterhalten werden konnte. Wenige Monate nach der Enthaftung konnte das Ermittlungsverfahren gegen die Beschuldigte schließlich komplett eingestellt werden. Die Serien-Juwelier-Diebstähle waren zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht weiter aufgeklärt.

 

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